Bremen

Station 2 – Bremen, 1. bis 2. September 2015

 

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In dem etwa 40 Quadratmeter großen Raum im Bremer Lagerhaus rücken die Menschen näher zusammen, auch wir. 90 Leute sitzen auf Stühlen eng aneinander, fremde Ellenbogen berühren meinen Arm. Sicher 80, 90 Menschen finden hier Platz auf Stühlen, Tischen, auf dem Boden, stehend an den Wänden. Die Menschen sind gut angezogen, die jüngsten vielleicht 16, die ältesten 60 Jahre alt. Sie alle sind gekommen um Sylvia Pfeifer vom Fluchtraum e.V. und ihrer Kollegin zuzuhören. Die 26-Jährige Pfeifer hat einen kleinen Beamer aufgebaut und präsentiert die Folien zum Thema des Abends: „Wie übernehme ich eine Vormundschaft für einen unbegleiteten, minderjährigen Flüchtling (umF)?“.60 Minuten lang erzählen Pfeifer und ihre Kollegin von den Aufgaben, die auf einen Vormund für einen umF zukommen, beantworten Fragen. Erklären: Wer auf diese Weise Verantwortung über einen jungen Menschen übernimmt, nimmt eine wichtige Rolle ein, aber wird kein Elternersatz.

Willkommenskultour: Sylvia, Du hast heute etwa 90 Menschen erzählt, was sie mitbringen müssen, um Vormund von einem unbegleiteten, minderjährigen Flüchtling zu werden. Das waren richtig viele Menschen – ist das immer so?
Sylvia Pfeifer: In den letzten Monaten waren unsere Infoabende immer so voll. Von denen die kommen, werden aber natürlich nicht alle Vormund für jemanden. So 20 Prozent derjenigen, die heute hier waren, werden eine Mentoren- oder offizielle Vormundrolle übernehmen, schätze ich.

WK: Die UN- Kinderrechtskommission sagt, dass jedes Kind, also jeder Mensch unter 18, in Deutschland besonderen Schutz benötigt, also auch einen Vormund. Warum gibt es den in Deutschland nicht für jeden „muF“?
Pfeifer: Weil die Amtsvormünder, die solche Fälle übernehmen, besonders im Moment total überfordert sind. Da ist dann eine Person für 70 Menschen zuständig, das ist aber kein echtes Betreuungsverhältnis, das kann man sich ja vorstellen. Das sind dann einfach Fälle.

WK: Wenn dieser Schutz gesetzlich jedem Minderjährigen zusteht, ist es also staatliche Aufgabe, diese besondere Fürsorge zu leisten. Ihr übernehmt mit eurem Verein genau diese Aufgabe der zuständigen Einrichtung, nämlich des Jugendamts. Wie werdet ihr subventioniert?
Pfeifer: Eine halbe Stelle können wir aus einem EU-Topf finanzieren. Da wir hier aber zu zweit in Vollzeit arbeiten, sind wir zusätzlich auf Spenden angewiesen. Wir wissen allerdings nicht, wie lange wir noch von der EU gefördert werden, insgesamt ist das also eine sehr unsichere Lage für unsere Vereinsarbeit.


WK : Euer Verein „Fluchtraum e.V.“ ist quasi eine Schnittstelle, an der sich Flüchtlinge und Menschen, die eine Vormundschaft übernehmen wollen, begegnen können. Privatpersonen können dann, wenn die Chemie stimmt, die Vormundschaft für einen muF übernehmen. Wie profitieren die Jugendlichen von diesem Verhältnis?
Pfeifer: Vor allem Dingen haben sie jemanden, der ansprechbar ist. Wir haben eine Umfrage unter den Jugendlichen gemacht und das war der häufigste Wunsch- jemanden zu haben, der verlässlich da ist und bei alltäglichen Herausforderungen zur Seite steht. Ganz oft wollen die Jugendlichen aber auch einfach nur ein bisschen schlafen, denn Rückzugsorte sind in den Unterkünften häufig nicht gegeben.

WK: Welche Aufgaben übernehmen dann die Vormünder?
Pfeifer: Das ist dann eine klassische Vormundschaft, die aber nicht unbedingt in ein elternähnliches Verhältnis übergeht. Es geht eher darum, mit dem Jugendlichen zusammen Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Da kann es um die Wahl der Schule gehen oder um ärztliche Versorgung. Ohne den Vormund hat der Jugendliche da im Zweifel wenig Mitbestimmungsrecht.

WK: Du hast bei Fluchtraum e.V. selbst vor drei Jahren als Mentorin angefangen. Nun bist Du hauptamtlich hier und kennst die aktuellen Herausforderungen Eurer Arbeit. Was sind Deine Wünsche an die Politik?
Pfeifer: Unterstützung zu bekommen. Damit wir hier sicher weiterarbeiten können.

WK: Wieviele Stellen braucht Ihr konkret, um für die weiteren angekündigten Jugendlichen Vormünder vermitteln zu können?
Pfeifer: Schwer zu sagen. Aber mit sechs vollen Stellen glaube ich, dass wir für die 900 Jugendlichen, die momentan in Bremen zu betreuen sind, gut arbeiten könnten. Also für die, die sich das wünschen, einen Vormund finden und die Tandems langfristig betreuen.

Von den 90 Menschen, die bei der Projektvorstellung waren, werden etwa 18 wirklich eine Mentorenrolle oder eine Vormundschaft übernehmen. Angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen werden überall in Deutschland Erwachsene gesucht, die eine solche Aufgabe übernehmen möchten.Mehr Infos zu Fluchtraum Bremen e.V. und zu unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen.